Dass Sie diese Anekdote lesen können, haben Sie der Deutschen Post zu verdanken. Die gelben Ritter der guten alten Briefsendung haben mich dermaßen zum Kochen gebracht, dass ich beschloss, diese Episode niederzuschreiben. Es war die einzige Möglichkeit, meinen Frust los zu werden. Denn Beschwerdebriefe sind bei der Deutschen Post unerwünscht! Aber der Reihe nach!
In meinem Sachverständigenbüro ist der Gang bzw. die Fahrt zum Briefkasten oder zur Postfiliale oder gar zur Poststelle immer noch ein notwendiges Muss. Gutachten werden nach wie vor gedruckt und in mehrfacher Ausfertigung versendet (zum Beispiel u.a. für Gerichte, die dann dort in die elektronische Akte eingescannt werden … ), ebenso Kontoauszüge, Rechnungen, Mahnschreiben, Kündigungsbriefe, CDs mit Begleitschreiben und vieles mehr. Daher habe ich mir frühzeitig eine gelbe Postschablone angeschafft, mit zahlreichen Schlitzen und Aufdrucken, die helfen sollen, das richtige Porto zu ermitteln.
Das ist schon was für einen Ingenieur. Gibt es doch zahlreiche Parameter, die ermittelt und überprüft werden müssen, um zu entscheiden, ob das zu versendende Schriftstück noch mit 1,60 Euro oder doch schon mit 2,75 Euro frankiert werden muss (Preise für Porto Briefe, Stand 2024 – wird sich wahrscheinlich ab 2025 erneut ändern). So genannte UND- bzw. ODER-Verbindungen entscheiden über das richtige Porto – zumindest, wenn man nicht jedes Mal Kilometer in die nächste Poststation fahren möchte, um dort dem Entscheidungsprozess der mit höheren Weihen ausgestatteten Postmitarbeiter beizuwohnen.
Na ja, jedenfalls hatte ich Belege für meine Steuerberaterin und ein Kurzgutachten für das Landgericht Stuttgart jeweils in zwei gepolsterte Umschläge gepackt und mit der Adresse beschriftet. Es folgte Schritt 1: die Bestimmung des Gewichts. Beide Briefe waren schwerer als 500 g, aber leichter als 1000 g. Also sollten sie mit 2,75 Euro frankiert werden – wenn sie die bestimmungsgemäßen Abmessungen einhalten. Dazu schiebt man die Umschläge durch den mit „Großbrief“ markierten Schlitz, was mir mühelos gelang. Also Briefmarke draufgeklebt und ab damit in den Briefkasten.
Anschließend war ich ungefähr zwei Wochen unterwegs. Meine Büronachbarin kümmerte sich in dieser Zeit um den Posteingang, d.h. sie schaute, dass der Briefkasten nicht überquoll und stapelte die wichtige und die unwichtige Post getrennt. So kam ich nun von meiner Geschäftsreise zurück und was musste ich auf dem Stapel „Wichtige Post“ sehen? Die zwei Briefumschläge waren mir „postwendend“ zurückgeschickt worden. Mit dem Vermerk „Nicht ausreichend frankiert“. Mir kochte das Blut in den Adern und ich musste mich erst mal mit einem Glas Trollinger beruhigen.
Am nächsten Tag befestigte ich einen kleinen Zettel mit der Aufschrift „Liebe Post – bitte mal klingeln. Danke!“ am Briefkastenschlitz. Und tatsächlich klingelte es an meiner Bürotür. Dem gelben Ritter der Post erklärte ich das Problem, aber der bedauerte sehr, dass er dafür nicht zuständig sei. Er könne die Sachlage nicht beurteilen, schließlich habe er ja keine Schablone zum Abmessen dabei. Aber er empfahl mir, in die nächste Postfiliale zu fahren und dort die Angelegenheit zu klären. Was ich auch tat!
Dort bot sich das für die Post übliche Bild. In einer Endlosschlange wartet man, bis man schließlich drankommt. Gut, so läuft das zum Beispiel auch zum Beispiel in Spanien oder Griechenland und es dauert ewig lange, bis man der Nächste ist. So wartete ich geduldig 20 min, bis ich schließlich an der Reihe war. Bewaffnet mit meiner Briefschablone und den beiden Umschlägen erläuterte ich der Postmitarbeiterin, was mir passiert war und fragte sie: „Die Briefe sind doch richtig frankiert oder? Sie passen jedenfalls durch den Prüfschlitz“ ergänzte ich und schob die beiden gepolsterten Umschläge durch die Öffnung.
„Das verstehe ich auch nicht“, meinte die freundliche Postdame. „Ich muss das mal an unseren Schablonen ausprobieren“ ergänzte sie und setzte die Umschläge auf den Prüfschlitz auf. „Sehen Sie“, meinte sie, „die Umschläge passen nicht durch“. Klar, wenn man lediglich die natürliche Schwerkraft ausnutzt. Davon steht aber nix in der Gebrauchsanweisung der Prüfschlitzsammlung. „Sie hätten die Ränder einfach festkleben müssen, dann wären sie selbsttätig durch den Schlitz gerutscht“ fachsimpelte die Dame hinter dem Tresen. Ich kapierte gar nichts mehr.
„Was wäre passiert, wenn die Postmitarbeiter im Briefzentrum einfach nur mitgedacht und – entgegen der natürlichen Schwerkraft – die Umschläge mit sanfter Krafteinwirkung durch die Schlitze geschoben hätten?“ fragte ich vorsichtig. „Wissen Sie“, flüsterte mir der gelbe Engel zu, „im Briefzentrum sitzen an den Prüfstellen meistens Praktikanten und die haben halt genaue Anweisungen, wie die formatabhängige Frankierungsproblematik zu überprüfen ist. „Außerdem“ ergänzte sie „bekommen die für jede falsche Frankierung eine Prämie“.
Toll, dachte ich, meine Prämie besteht jetzt darin, dass das Gutachten zu spät beim Landgericht ankommt und mir daher ein saftiges Ordnungsgeld droht. „Ich möchte mich schriftlich beschweren über diese Vorkommnisse, das ist ja unverschämt, wie mit den Postkunden umgegangen wird“ posaunte ich laut über den Tresen. Ich war mir sicher, dass zahlreiche Augen- und Ohrenpaare auf mich gerichtet waren. „Ich gebe Ihnen mal diese Telefonnummer, da können Sie dann anrufen und sich beschweren“ antwortete mir der gelbe Postengel leise und geheimnisvoll.
„Ich möchte mich aber schriftlich beschweren, das muss man aktenkundig machen“ polterte ich laut los. „Geht nicht“ war die lapidare Antwort. „Die Post hat nur telefonische Beschwerdemöglichkeiten eingerichtet“. „Dann werde ich zu diesen Vorkommnissen mal einen Artikel in der Tageszeitung schreiben. Das muss die Öffentlichkeit erfahren, wie mit uns Postkunden umgesprungen wird!“ zischte ich ihr zu, packte meine Sachen und rannte aus der Postfiliale.
Als ich wieder zur Ruhe gekommen war, dachte ich: Warum eigentlich nur die Tageszeitung? Das sind doch Probleme, die wahrscheinlich auch alle meine Kolleginnen und Kollegen ständig zu bewältigen haben. Das muss man in geeigneter Form breit streuen. Und so entstand die Blogidee „Anekdoten eines Sachverständigen“. Diese Postszenen haben sicherlich schon viele erlebt, und gerade, wenn man dringend ein Gutachten oder einen Text versenden muss, passieren solche Dinge. Murphy’s Gesetze schlagen dann meistens gnadenlos zu!
Vielleicht erleben das andere auch?